19.06.1924 | „Sturm“-Ausstellung des Geraer Kunstvereins. Geraer Zeitung.

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„Sturm“-Ausstellung des Geraer Kunstvereins.
Nun hat auch endlich mal der so hochgepriesene, bekämpfte, verwöhnte „Sturm“ aus Berlin seinen Einzug gehalten. Endlich! Denn wenn nicht der so rührige Kunstverein die Sturmaus-stellung veranstaltet hätte, wer weiß, ob und wann die 0paar Dutzend Kunstverständigen Geras einen direkten Einblick in die neuesten Bestrebungen der bildenden Kunst am Orte selbst bekommen hätten. Man mag sich immer – noch so ablehnend – all dem Neuesten des Neuen in der Malerei gegenüberstellen, es geht nicht an, dass man all diesen neuen Gedan-ken der Moderne mit einem spießerhaften Lächeln, mit einem philiströsen Negieren entge-gentritt. Jedes ausgestellte Bild ist auf jeden Fall die Summe von Talent, Fleiß, eines völligen Aufgehens in einer Idee und zum mindesten deshalb Achtung gebietend.
Dass in einem „Bild“ wie „Drahtfrühling“ allerdings neben meisterlichen Qualitäten wie Far-benklang und Flächenaufteilung dem, was man Malerei nennt, ins Gesicht geschlagen wird, hängt mehr oder minder mit der ganzen Dekadenz unseres Zeitalters zusammen. Und will man ganz ehrlich – aufrichtig ehrlich – sein, so stellt solch „Bild“ wie Kurt Schwitters „Arbei-terbild“ wohl das vor, was im heutigen Leben und somit auch in der Kunst als Bluff bezeichnet werden muss. Denn was ist Malerei in der bildenden Kunst auch in der lebensvoll bewegten Komposition von Farben- und Linienspiel, auf Kosten der s o g e n a n t e n r i c h t i g e n Malerei. Doch war dies immer nur die äußere Form, die sich um den Gedanken, die Idee, die Seele im Kunstwerk rankte. Das, was das Kunstwerk erst zum Kunstwerk macht, die Mächtigkeit und Intensität des seelischen Ausdrucks bleiben einem die allzu stark intel-lektuellen Arbeiten der „Extreme-Expressionisten“ schuldig. Hier, sowie in der Musik und Literatur.
Dieses seelische Erlebnis verbunden zu haben mit der Natur vollständig überwundenen Far-ben- und Formanschauung, ist das unauslöschliche, ewige Verdienst Franz Marcs. Seine Tierbilder geben nicht nur die Psyche des Animalischen schlechthin, sondern vor allem den Gedanken des Kosmos, des Ewigen im All. Ähnlich Kokoschka, bei dem expressionistische Naturferne, Macht des Ausdrucks immer noch nicht die Ehrfurcht vor der Natur erstickt.
Es wäre schön, zu denken, dass diese erste Sturmausstellung des Geraer Kunstvereines das erste Glied einer Kette wäre, die uns verbinden wird mit Namen wie: Willi Jaeckel, Heckel, Heckendorf, Lehmbruch, Kohlhoff und deren mehr! Richard Haberlandt

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