03.07.1924 | „Sturm“-Ausstellung, Geraer Zeitung.

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Sturm-Ausstellung
Obwohl die Ausstellung „Der Sturm“ des Geraer Kunstvereins schon geschlossen ist, müssen doch noch einmal Fragen berührt werden, die mit dieser Ausstellung eng zusammenhängen.
Der Verfasser des Artikels „Die Sturm-Ausstellung“ im Blatte vom 29. Juni steht nun im Gegensatz zu meiner Behauptung, dass die Arbeiten S c h w i t t e r s eine Degenerationserscheinung und sogar Bluff bedeuten.
Auch ich bin völlig der Ansicht, dass eine a b s o l u t e M a l e r e i nicht nur selbstverständliche Daseinsberechtigung hat, sondern eine logische Folgerung der Kulturentwicklung der letzten Jahrzehnte bedeutet.
Das Ende dieser Kulturentwicklung – und wir stehen am Ende einer solchen – prägt sich heute Schritt auf Schritt überall im täglichen Leben im Kampf ums Dasein, in der Gesellschaftsordnung, in der Politik usw. aus, und nicht umsonst ist „Der Untergang des Abendlandes“ geschrieben worden. Nicht zuletzt die bildende Kunst steht im Zeichen dieser Kulturperiode. –
Warum greift z. B. S c h w i t t e r s in der Folge zu Mitteln, die unmittelbar mit Malerei nichts zu tun haben, warum sucht er Gegenstände aus Holz, Metall Leinwand usw. zusammen, um sie aufgeklebt zu einem Bild zu vereinigen? Es ist wohl nicht im Sinne der Begründer des Expressionismus, wenn ihr Erbe in dieser Weise behütet wird. Um Gestaltung „des Dinges an sich“ zu geben, ist es auch in der a b s o l u t e n Malerei nicht notwendig, mit aufgeklebten und zerbrochenen Gegenständen und Teilen derselben zu operieren.
Schwitters steht in der Art dieser Malweise nicht allein. Der Dresdener D i x, um nur einen Namen zu nennen, arbeitet mit demselben Rüstzeug und hat namentlich nach Kriegsende am Beginn der Revolution, als alle Fesseln gesprengt waren, die moderne Malerei in dieser Weise aufgefasst. Der sowohl, wie auch S c h w i t t e r s , sowie ihre Anhänger, wohl im Bewusstsein, in eine Sackgasse geraten zu sein, haben sich alsbald wieder in anderer Form mit den Problemen der modernen Malerei beschäftigt, offenbar erkennend, dass ihr Suchen und Tasten doch nicht der Weg zu einem befreienden Ziel ist. –
Unsere Einstellung zur modernen bildenden Kunst, speziell der Malerei, ist vielfach, ja fast meist, immer noch viel zu sehr abhängig von äußeren Natureindrücken, von den Zufälligkeiten ihrer Erscheinung. Während das Wesen des Impressionismusses sich darin begründet, all dies äußerlich Richtige –wie Bewegung der Atmosphäre, Beleuchtungserscheinungen usw. – zu sehen, richtet der moderne Künstler, der Gegenwart sein Augenmerk wohl nur ausschließlich darauf, das, was ihn innerlich bewegt, das was sein Leben und Geistesleben ist, in sichtbare Formen zu bringen. Eine neue Errungenschaft ist damit freilich nicht getan: denn waren nicht alle wirklich großen Künstler aller Zeiten Künder dieser seelischen Kunst, die man eben heutzutage mit dem schon so sehr zu Schlagwort gewordenen Wort Expressionismus bezeichnet? Der Grund dieser rein auf seelische Wirkung ausgehenden Probleme dürfte wohl zum Teil darin zu suchen sein, dass auf ein Zeitalter äußerlicher Naturanschauung – Naturalismus, Impressionismus – naturnotwendig eine entgegengesetzte Kraft auf den Plan trat, eine Kraft, die kommen musste. –
Jedes Kunstwerk ist nun in seiner seelischen Wirkung abhängig von seiner äußeren Form, ja man kann sagen, erst durch die äußere Form entsteht die innere Wirkung. Diese äußere Schale ist nun kurzweg gesagt, das was der Laie unter dem Stil einer Kunstepoche versteht. Jeder wahrhaft künstlerisch hochstehende Stil, jede Blütezeit in der bildenden Kunst entwickelt sich aus dem Gefühl für Einfachheit, Geschlossenheit und Zusammenhang der Formen- und Farbensprache, kurz aus dem was man R h y t h m u s der Form zu nennen pflegt.
Eine von Grund auf neue Umformung, eine vollständige neue Form dieses Rhythmus‘s brachte uns der Expressionismus. –
A l e x a n d e r A r c h i p e k o s Arbeiten sind nun im Sinne dieser ganz auf Rhythmus durchpulsierten Idee zu werten. Gibt er z. B. ein tanzendes Paar, so sind für ihn die menschlichen Formen nicht mehr und nicht weniger als rhythmisiertes Linienspiel, als die zum Rhythmus gewordene Idee seiner Vision. Dabei verlangt seine Natur von ihm natürlich eine starke Umformung aller Naturalistik und scheinbaren Richtigkeit.
Das i n n e r e Wesen der Dinge zu beben ist auch das Ziel, das sich P a u l K l e e stellt. Mit vielen seiner Zeitgenossen hat er eine etwas herbeigezerrte Kindlichkeit, eine gewollte Unbewußtheit gemein. Vielleicht ist manches seiner Bilder, die zum Bewußtsein gewordene Kinderzeichnung, die dann stets einen märchenhaften Reiz, eine humorvolle Phantasie und neben all dieser seelischen Wirkung eine bis ins letzte durchdachte und erwogene Farb- und Linienkomposition in sich trägt. Zwei kleine Bilder von ihm zeigen vortrefflich diese Seite eines Wesens. Dieses Spiel des Rhythmus, und manchmal auch leider dieses Spielen mit dem Rhythmus führt dann freilich oft soweit, dass aus dem figuralen Bilde das Gebilde eines Ornaments wird. Oft ähneln dann solche zum Ornament gewordenen Flächen-Ausfüllungen der Wirkung schöner Teppiche (Nell Walden), und können meiner Ansicht nach als Überleitung zum Kunstgewerbe betrachtet werden. Daher ist es auch sehr fraglich, ob es logisch ist, wenn die Futuristen ihren Bildern überhaupt einen Namen geben. Jedenfalls ist es logischer und folgerichtiger, unter derartigen Arbeiten nicht z. B. „Frau mit Spiegel“ sondern Komposition, Farbeklang oder dergleichen zu schreiben, wie es ja die Kubisten auch tatsächlich tun. Auch  M a r c   C h a g a l l s Arbeiten sollen keine Erinnerungen an irgendwelche Bilder des täglichen Lebens auslösen, als Visionen einer ähnlich wie bei Paul Klee wirkenden, naiven Phantasie voll Humor und Ursprünglichkeit.
Inwieweit all diese modernen Bestrebungen den Grundstein zu einer Malerei der Zukunft legen, ist jetzt noch schwer zu sagen, da wir noch zu sehr im Kampf der Meinungen befangen sind. Sicher ist, dass wir uns, abgesehen von manchen schlimmen Verirrungen auch namhafter Künstler, auf einer aufwärts bewegenden Kurve befinden: Dieser Optimismus ist umso mehr berechtigt, als die moderne Malerei in der allerletzten Zeit das Gute, das wir aus dem Expressionismus gelernt haben, verbindet mit einer ruhigeren, abgeklärten Linien- und Formsprache, sich nicht ehr allzu oft in Ekstase bewegt. Die Anfänge dazu sind da, und vor allem in der neurussischen Porträtkunst, die Namen wie z. B. S s o r i n aufweist, zeigen sich die ersten Zeichen einer neuerlichen und vollständigen Umwälzung. Richard Haberlandt

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